Es gibt Situationen im Leben, über die man sich auch nach Jahrzehnten noch schwarz ärgern kann. Ich erinnere mich ungern an den düsteren Tag, als ich Schüler-Bafög beantragen musste, da ich wirklich beim besten Willen nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Ich hatte vom elften bis zum achtzehnten Lebensjahr weit unterhalb der Armutsgrenze gelebt. Ich war kurz vor dem Abitur, hatte keinen festen Wohnsitz und keinen Pfennig Geld, und die Ehe meiner Eltern war gerade zerbrochen. Ich wurde bei der Behörde behandelt wie bettelnder, asozialer Abschaum.
Als ich das Amtszimmer verließ, liefen mir schon die Tränen herunter. Auf dem Weg zum Bahnhof fragte ich mich unentwegt, was ich der Sachbearbeiterin, bloß angetan haben mochte. Ich wollte doch nichts weiter, als ein bisschen Geld zum Leben und vor allem für eine Monatsfahrkarte, damit ich wenigsten ungestört mein Abitur machen könnte. Auf Verständnis oder Empathie hatte ich ja nicht mal zu hoffen gewagt. Heute wüsste ich es besser: Ich würde mich einfach in eine Burka wickeln und in den Jihad ziehen.
In Berlin, so ist im Tagesspiegel zu lesen, wurde jetzt aus Steuermitteln von schlappen einhundertundfünfzehntausend Euro eine Beratungsstelle mit geschulten Sozialarbeitern eingerichtet, die sich liebevoll um „traumatisierte, desillusionierte Ex-Dschihadisten“ kümmern soll, denn „sie brauchen Stabilität, Perspektiven, einen neuen Sinn des Lebens.“ Und sie dürfen unter keinen Umständen „ins Nichts fallen“, denn sonst werden sie zu „tickenden Zeitbomben“.
Also jetzt mal ganz von vorn, ganz langsam, und so, dass alle mitdenken können: Da ziehen testosterongesteuerte Jungmänner durchs wilde Kurdistan, um einen islamischen Gottesstaat zu errichten, mit allem nur denkbaren Komfort, also z.B. totaler sexueller Kontrolle über total verschleierte Frauen, Versklavung vierzehnjähriger Jungfrauen, Aufhängen von Homosexuellen, Steinigung von Vergewaltigungsopfern, Verstümmelung von Dieben, Köpfen von Ehebrechern - und diese noble Absicht ist nicht nur nicht strafbar oder auch nur moralisch verwerflich, nein, sie ist mitleiderregend und behandlungsbedürftig.
Die enttäuschten Gotteskrieger hatten sich das eigentlich so toll vorgestellt mit dem Vergewaltigen von jesidischen Minderjährigen und dem Köpfen von Christen vor laufender Kamera, und dann war das alles nicht mal halb so schön. Und traumatisiert muss man sein, wenn man wieder in Kreuzberg gelandet ist und nicht, wie ursprünglich angedacht, in einem kurdischen Landhaus, dessen Besitzer irgendwo im Garten am Baum hängt, während seine minderjährigen Töchter als Ehefrauen fungieren müssen.
Aber nur Mut, liebe Jihadisten, der deutsche Staat hat euch ganz doll lieb und vertraut euch kompetenten Sozialarbeitern an. Diese werden euch anhand auserlesener pazifistischer Zitate aus dem Koran, dem friedliebenden Handbuch der Friedensreligion, zu überzeugen wissen, dass ihr im Grunde genommen in einer Friedensmission unterwegs gewesen seid. Und überhaupt war das alles gar nicht eure Schuld, denn ihr hattet ein „kaputtes Leben, soziale Probleme, mangelndes Selbstwertgefühl, mangelnde Kontaktfähigkeit“ und natürlich die immer wieder als Generalentschuldigung geltend gemachten „mangelnden Perspektiven“.
In meiner Situation damals wäre es ein grober Euphemismus gewesen, zu behaupten, ich hätte keine Perspektive gehabt. Mein kaputtes Leben, mein Selbstwertgefühl sowie meine mangelnde Kontaktfähigkeit interessierten den Staat einen Scheißdreck. Nicht mal Beratungsstellen gab es für Mädchen in meiner Situation. Aber nach gut einem Jahr und somit längst nach dem Abitur erhielt ich immerhin eine einmalige Schüler-Bafög-Zahlung von achtzig D-Mark. Letztendlich zählt die Geste.